Kunst des japanischen Kumihimo, Flechten der Seidenbänder

(Zusammenfassung mehrerer Vorträge, die u.a. bei der Deutsch-Japanischen Gesellschaft in München und beim Fachverband Textil in Dachau gehalten wurden)

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Einführung

Kumihimo bedeutet geflochten Schnüre oder Bänder, die Kunst des Seidenflechtens. Kumihimo ist die am wenigsten bekannte Kunst im traditionellen Kunsthandwerk Japans.

Einfach deshalb, weil die Beispiele relativ unscheinbar sind, und ihre Schönheit sich erst dem aufmerksamen Betrachter eröffnet.So ist beim traditionellen Kimono der 5 m lange Obi ein wesentlicher Bestandteil. Um diesen Obi – und alles was noch darunter getragen wird – zusammen zu halten benötigt man einen Obijime, ein geflochtenes Band aus Seide.

Geflochtene Schnüre wurden und werden für religiöse Zeremonien benötigt, aber auch als Bänder für Spiegel, Fächer, Inro, Tee Zeremonien, Bildrollen und zum Verschnüren. Und heute auch für Handys.

Quelle: Hoko Tokoro Studio; Ogaki´

Besonders aber als Verschlüsse für die Kleidung, da die traditionelle japanische Kleidung keine Köpfe kennt.

Schauen Sie sich die komplizierten Knoten auf den Teedosen an. Früher versuchte man damit zu verhindern, dass der Tee vergiftet wurde, da der Knoten einmal geöffnet nicht wieder hergestellt werden konnte

Hergestellt werden diese Bänder auf verschiedenen hölzernen Flechtgeräten.

Quelle: Toshiko Tanaka; Hanamusubi - Traditional Japanese Flower Knots

Aya Takedai = Gerät aus Bambus für flache Bänder, bei dem die Seidenfäden verdreht werden. Die Technik ist mit der Brettchenweberei vergleichbar

Marudai = das runde Gerät für runde, flache und viereckige Bänder. Die Festigkeit der Bänder wird durch das Gegengewicht bestimmt. 

Taka Dai = hohes Gerät, flache Bänder in einfacher oder doppelter Schicht für z.T sehr komplizierte und schwierige Bänder

KakuDai = quadratisches Gerät für viereckige, rund oder ovale Bänder. Das Band wird mit einer Art Flaschenzug nach oben geflochten

Die Ausgangstechnik ist immer die gleiche. Dünne Seidenfäden werden gebündelt und auf Spulen gewickelt. Die Spulen haben ein bestimmtes Gewicht. Bei Kakudai und Marudai wird für die Flechttechnik ein Gegengewicht benötig. Beim Marudai hat es etwa die Hälfte des Spulengewichts. Die meisten japanischen Bänder werden mit 8, 16 oder 24 Spulen gearbeitet.

Hier sehen Sie den Ablauf beim Marudai.(ein Muster mit 42 Spulen)

Beispiele von Bändern

Quelle: Hoko Tokoro Studio; Ogaki

Quelle: Hoko Tokoro Studio; Ogaki

Quelle: Hoko Tokoro Studio; Ogaki

Quelle: Richard Sutherland; USA

Quelle: Richard Sutherland; USA

Bevor ich Ihnen etwas über Geschichte und Ursprung des Kumihimo erzähle, möchte ich Ihnen noch etwas Besonderes zeigen. In Peru hat sich völlig selbständig eine Flechttechnik entwickelt, die der japanischen sehr ähnlich ist. Sie wird seit Jahrhunderten von Indios praktiziert. Vor allem die noch heute gebräuchlichen Steinschleudern werden so hergestellt. Geflochten wird traditionell von Männern, die dafür auch die Wolle spinnen. Und das Faszinierendste ist, dass ohne Hilfsgerät mit der Hand geflochten wird.

Geschichte

Quelle: Comprehensive treatise of  Braids II: Andean sling braids

Zu Beginn wurden die Geflechte nur mit der Hand geflochten, d.h, die Fäden wurden an einem Stock befestigt und dann geflochten. Die in Japan benutzten Flechtgeräte wurden wahrscheinlich in China oder Korea entwickelt. Eine Theorie besagt auch, daß die Technik aus Europa über Zentralasien kam.

Quelle: Comprehensive treatise of  Braids: Marudai-Braids

Dann wurde das rechts abgebildete Gerät entwickelt – der Vorläufer des Marudai und Kakudai. Über die Geschichte des Kumihimo ist wenig bekannt. Kumihimo ist nur ein Teil der textilen Tradition, und man hat es wahrscheinlich als nicht so wichtig angesehen. Außerdem galten die meisten Informationen als Geheimnis der Flechter und wurden nur mündlich weitergegeben. Ebenso wie einige Muster. Für die Kumihimo- Schulen gilt das teilweise noch heute

Wo die Technik Kumihimo tatsächlich herkommt ist nicht mehr zu klären. Flechttechniken gab und gibt es überall. Im Anfang kamen die Bänder aus China und Korea, durch den größer werdenden Bedarf entwickelte sich dann das Handwerk auch in Japan.

Seit der Nara Zeit (645-784 n.Chr.) hat sich die bis heute gebräuchliche Form des Kumihimo langsam entwickelt. In dieser Zeit wurden für die Gürtel besonders die Farben lila, purpur, blau, grün, gold und chinesisch-orange extra aus China importiert. Diese Farben sollten böse Geister vertreiben. Es heißt, dass Frauen, die ein Band mit diesen “Shoso-in Farben” genannten Farben tragen, vor Unglück bewahrt werden.

In der Heian Zeit (784-1184 n.Chr.) wurde der Buddhismus in Japan immer dominierender. Die Geflechte, die besonders für die Tempel hergestellt wurden, waren außergewöhnlich schön. Die Verwendung der Muster war streng reglementiert. Diese Bänder wurden auch ausschließlich von Mönchen geflochten. Für diese galt Kumihimo auch als Meditationsübung.

Von diesen Geflechten sind relativ viele erhalten, da sie oft in den Statuen versteckt wurden.

Eines der berühmtesten Bänder stammt aus dem Saidai-ji Tempel aus dem 14. Jahrhundert. Es wurde ursprünglich von 2 Personen geflochten.  Sie sehen rechts die Rekonstruktion dieses Musters für den Takdai, geflochten mit 56 Spulen

Quelle: Catherine Martin;Kumihimo - Japanese silk braiding techniques

Aus dieser Zeit stammt auch der “Hirao-Gürtel. Er ist ca. 15-25 cm breit und wurde  in “Kara-Kumi”, der chinesischen Flechttechnik hergestellt. Er durfte - und darf - nur vom Kaiserpaar, dem Kronprinz und Edelleuten der 3 höchsten Ränge getragen werden. Diese Gürtel sind 250 cm lang, die breiteren werden 3mal gefaltet und um den Körper gewickelt. Die Enden hängen unter dem Oberkleid herab. Bilder dieses Gürtels dürfen leider nicht gezeigt werden, aber links sehen Sie einige Formen, die von allen getragen werden dürfen.

Als in der Kamakura (1185-1333 n.Chr.) und Muromachi (1333-1573) Zeit die Samurais immer mehr an Bedeutung gewannen, wurde der Bedarf an Rüstungen immer größer.

Eine Rüstung besteht aus vielen lackierten Eisenplättchen, die mit geflochtenen Bändern verbunden werden. Für eine Rüstung benötigt man ca. 250 bis 300 Meter Band.Rechts sehen Sie das Bild eines “Rüstungsnähers”

Die fertigen Rüstungen sahen dann so aus

Quelle: Comprehensive treatise of Braids: Taqkadai-Braids 2

Quelle: Samurai und Bushido -der Spiegel Japans 1550 - 1867

Für die Befestigung der Schwerter und einen besseren Griff sowie für Beinschienen und Pferderüstungen wurden ebenfalls Bänder benötigt.

Die Bänder der Rüstungen waren meist einfarbig, Umrandungen und Schwertbänder hatten ein Muster. Bevorzugt wurde das Kikko / Schildkrötenmotiv, da die Schildkröte das Symbol für langes Leben ist.

Das können Sie hier auf dem Bild rechts erkennen

Quelle: Icke-Schwalbe/Karpinski: Das Schwert des Samurai

Links ein Handwerker, der einen Schwertgriff wickelt

Hier sehen Sie die Fragmente eines Kikko-Musters aus der Heian Zeit (784-1184 n.Chr.) mit Schildkröten-Mustern auf beiden Seiten

Cord with tortoishell pattern on both sides; Kumano Hayatama Taisha; Heian period

Quelle: Kei Sahashi; Exquisite - The World of Japanese Kumihimo Braiding

Und hier einige Schildkrötmuster aus der heutigen Zeit.

Rüstungsbänder wurden für 24 Stunden in eiskaltes Wasser gelegt, das hat sie noch widerstandsfähiger gemacht, zusätzlich zu der sehr festen Flechtung. Das Band was Sie anschauen können ist allerdings nicht gewässert.

Um diese Bänder zu durchtrennen, musste man ein sehr guter Schwertkämpfer sein – und natürlich auch ein sehr scharfes Schwert haben. Mit einem fest geflochtenen Band können Sie ein Auto abschleppen.

Quelle: Comprehensive treatise of  Braids: Takadai-Braids 2

Edo print of a seller of braids in a Kyoto shop

Quelle: Catherine Martin; Kumihimo

Rechts die Zeichnung eines Bänderladens

In der Monoyama Periode (1573-1614) liegt der Beginn der heutigen Flechttechnik, das Kumihimo. Erstmals wurden die Kimonos mit einer Art Obi, einem breiten geflochtenen, weichen Band gebunden. Dieser Obi wurde mit einem Obijime am Verrutschen gehindert. Erstmals wurden Bänder für die Frauenmode vermehrt eingesetzt.

Gegen Ende der Edo Periode (1616 bis 1867) wurde der Takadai, der hohe Flechtstuhl in seiner heutigen Form entwickelt und ermöglichte eine Vielzahl von Mustern.

Edo/Tokyo wurde das Zentrum des Kumihimo. Sehr viele der heute geflochtenen Muster wurden damals entwickelt. Und die ersten Musterbücher wurden publiziert.

Während der Meiji Periode (1867-1912) verloren die Samurais an Bedeutung, das Tragen von Schwertern wurde verboten. Kumihimo für die Rüstungen wurde nicht mehr benötigt. Maschinen für die Herstellung der Bänder wurden entwickelt, die Bänder wurden Massenware. Kumihimo hatte seine Exklusivität verloren. Man fing an Seide durch billigere Materialien zu ersetzen. Mit der Erfindung der Kunstfaser wurde diese verwendet. Das war ein Sakrileg für die traditionelle Fertigung und fast der Untergang der Handwerker. Aber in dieser Zeit kamen die breiten und starren Obis für die Kimonos in Mode, das fing schon gegen Ende der Edo-Zeit an. Für diese Obis war der Obijime unabdingbar, um ihn zusammen zu halten. In der heutigen Zeit sind 95 % der Bänder maschinell gefertigt.

Trotzdem gibt es immer noch einen Markt für die teuren und exklusiv handgearbeiteten Bänder. Rechts und unten dafür 3 Beispiele.

Schulen, Unterricht

Kumihimo gehört zu den traditionellen japanischen Künsten – auch wenn es nicht so bekannt ist - und wird wie z.B. die Tee- Zeremonie oder Ikebana in Schulen unterrichtet. Die Schulen haben meist eine lange Tradition und die Schüler binden sich ein Leben lang an ihre Schule.

Die Konkurrenz unter den Schulen ist groß und jede Schule hütet ihre Muster und Techniken eifersüchtig. Schon deshalb ist ein Wechsel von einer Schule zur anderen nur mit ausdrücklicher Genehmigung des “Senseis / Meisters” möglich. Ohne diese Genehmigung nimmt keine Schule auf. Der Unterricht ist sehr streng und strikt, und in den renommierten Schulen auch sehr teuer. Die Schulen bilden Lehrer-innen / Senseis aus. Diese dürfen dann mit dem Schulnamen unterrichten und müssen eine Gebühr an die Schule bezahlen.

Die bekannteste Schule ist die Domyo-Schule in Tokyo, die auch einen “lebenden Nationalschatz” als Meister hatte. Die jetzige Kaiserin war als Kronprinzessin eine Förderin dieser Schule und des Kumihimo im allgemeinen. Trotzdem reisen die Hofdamen jedes Jahr zu den renommiertesten Schulen, um den Bedarf des Hofes an Obijime einzukaufen.

Kumihimo außerhalb Japans

Seit einigen Jahren wird Kumihimo auch in der westlichen Welt praktiziert. Für Europäer, die Kumihimo in Japan lernen wollten, gab es fast unüberwindliche Schwierigkeiten. Die Schulen nahmen keine Ausländer an, und wenn, war da das Sprachproblem.Trotzdem fanden einige Europäer aufgeschlossene japanische Lehrer, die sich von der Ernsthaftigkeit ihres Interesses überzeugen ließen. Außerdem kamen einige mutige weibliche Senseis nach Europa und Amerika, um dort ihre Kunst zu unterrichten.

Dazu gehört Frau Tokoro, bei der ich Kumihimo in Köln gelernt habe. Sie kommt seit über 20 Jahren mehrere Wochen im Jahr nach Köln um dort zu unterrichten. Frau Tokoro hat auch in Japan begonnen, behinderte Menschen am Marudai zu unterrichten, um die Koordination und Aufmerksamkeit zu verstärken. In Köln unterrichtet Sie seit Jahren behinderte Kinder, mit großem Erfolg.

Flechttechnik

Obwohl jede SChule und jeder Sensei eigene Methoden der Musteraufzeich- nung hat, gibt es genug Übereinstimmungen, daß man die Muster lesen kann.

Hier möchte ich Ihnen als Beispiel rechts das Muster für ein Marudai-Geflecht und für ein doppeltes Takadai-Geflecht zeigen

Das Marudai-Muster ist noch einigermaßen nachvollziehbar, aber das Takadai-Muster (unten rechts) ist da schon schwieriger.  Was Sie hier sehen, sind 156 Schritte, d. h. 39 Schritte für die linke Seite oben und unten und die rechte Seite oben und unten. Ein unendlich weites Feld für Fehler aller Art. Und Fehler müssen immer – ich betone immer – aufgemacht werden. Es gibt Muster mit über 400 Schritten. Und leider merkt man oft erst bei Schritt 76, dass man bei Schritt 35 einen Fehler gemacht hat.

Kumihimo ist eine “Kunst”, die man ein Leben lang übt. Mit der Zeit macht man Fortschritte und beginnt immer kompliziertere Muster mit immer mehr Spulen.

Das schwierigste Muster, der Prüfstein des Könnens, ist ein einfaches Muster mit 4 Spulen. Die werden ganz einfach ausgetauscht, aber nur ein wahrer Meister bringt ein absolut perfektes Band zustanden.

Einer der großen Senseis einer sehr berühmten Schule erklärte das Flechten eines einfachen Zopfes aus drei Seidensträngen mit der Hand für das schwierigste Muster.

Versuchen Sie einen perfekten Zopf von 2.20 Meter Länge aus 3 dünnen Seidensträngen zu flechten, und Sie verstehen, was er meint.

Und wenn man lange genug dabei ist, darf man dann bei der Ausstellung der Schule in Japan mitmachen